Samstag, 16. Januar 2010

Zivilgesellschaft als Katalysator für Politik und Verwaltung

von Armin Koenig
Politik wird nicht für Institutionen, Parteien oder Organisationen gemacht, nicht für Konzerne oder Gewerkschaften, auch nicht für Städte und Gemeinden, sondern für Bürger. Die Bürger sollen deshalb nicht nur mitreden, sondern auch mitgestalten und mitentscheiden. Dieses Ziel haben sich inzwischen auch die
klassischen Akteure der repräsentativen Demokratie in ihr Programm aufgenommen. Partizipation ist
etabliert, als Prinzip- und als Prozess.
Die Möglichkeiten unmittelbarer Partizipation sind in allen Landes- und Kommunalverfassungen ausgebaut
worden. Dies ist ein Paradigmenwechsel in der deutschen Politik. Er hat Folgen für die aktuelle und die
zukünfte Politik.
Aus dem Dualismus Politik und Verwaltung wird mehr und mehr ein Dreieck Bürger – Verwaltung – Politik,
klassisches Regieren und Verwalten wird ergänzt durch unmittelbare Demokratie jenseits des Staates.
Hubert Heinelt (2008) nennt dies „partizipatives Regieren und Governance“.
Governance ist ein Begriff der politikwissenschaftlichen Literatur, der sich seit etwa zehn Jahren
zunehmender Beliebtheit erfreut. Governance beschreibt Strukturen, Arrangements und Prozesse zur
Steuerung und Koordinierung verlässlichen kollektiven Handels von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft
jenseits regierungs- oder verwaltungszentrierter Entscheidungen (vgl. Lütz 2006: 9; Benz 2004a: 25,
Schuppert 2007; Heinelt 2008: 21) und damit „in Abgrenzung zu ‚government’ (Heinelt 2008: 13).
Governance signalisiert erhebliche Veränderungen in Politik und Gesellschaft, da neben Hierarchie und
Markt auch die Arrangements mit der Zivilgesellschaft eine wesentliche Rolle spielen. Dass dieser "dritte
Weg" und seine Kooperationen zwischen öffentlicher Hand, Privaten und Bürgern überhaupt notwendig
sind, hängt mit Defiziten der Gesellschaft und des Staates und einer Überforderung der klassischen
Institutionen zusammen. Sie sind mittlerweile auf Zusammenarbeit mit Dritten und auf Mitarbeit
angewiesen. Doch voraussetzungslos geschieht dies nicht.
Es muss fair und gerecht zugehen, damit Menschen bereit sind, sich zu engagieren, um Teilhaber an den
gemeinsamen Angelegenheiten zu werden.
Diskursive Verfahren schaffen eine Vertrauensbasis zwischen den Akteuren. Voraussetzungen dafür sind
ein Dialog auf Augenhöhe, die Bereitschaft zu Kompromissen, Gleichberechtigung der Geschlechter und die
Akzeptanz von Regeln.
So müssen die Bürger akzeptieren, dass kommunalverfassungsrechtlich der Stadt- oder Gemeinderat das
letzte Wort bei Entscheidungen hat. Das tun die Bürger auch. Entscheidend ist, dass sie ernst genommen
werden und dass ihre Vorschläge bei der Umsetzung tatsächlicher Politik Berücksichtigung finden.
Erste Vorausssetzung: Die Beteiligten müssen umfassenden Zugang zu Informationen, Wissen und
zumindest den Medien haben, die es ihnen erlauben, am Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess
mitzuwirken. Schon dies ist nicht selbstverständlich. Trotz Informationsfreiheitsgesetz und
Transparenzregeln bunkern Behörden und Politiker noch immer Herrschaftswissen.
Partizipation dient der Kommunikation zwischen Bürgern, Politikern und Verwaltung, trägt zu
Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Bürger ebenso bei wie zur Kontrolle und Verteilung von
Herrschaft. Auch das Streben nach Identität und Identifikation spielt beim Prozess der Partizipation eine
wichtige Rolle.
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Dass dies nicht nur theoretische und normative Aussagen sind, wurde im Saarland modellhaft im
Zukunftsprojekt „Illingen 2030“ erprobt. In einem umfangreichen Beteiligungsprozess mit über 1000
Teilnehmern erwiesen sich Bürger als Ideengeber für Politik und Verwaltung. Die Partnerschaft zwischen
Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung hat funktioniert, eine Reihe von Vorschlägen der sieben Workshops
ist inzwischen in konkrete Politik und Investitionen umgesetzt worden.
Aber Partizipation hat auch Grenzen. Die Bürger wollen im Sinne Voltaires das eigene Gärtchen bestellen
("Il faut cultiver notre jardin"), aber mit Visionen und Missionen, mit ganzheitlichem Denken und vernetzten
Konstellationen haben sie wenig am Hut.
Das ist Aufgabe eines strategischen kommunalen Managements. Auch Kunstprojekte und Innovationen, die
nicht dem Massengeschmack entsprechen, aber für Alleinstellungsmerkmale sorgen können, sind nicht
leicht zu realisieren.
Mit Bürgerbeteiligung sind viele Hoffnungen verbunden. Sie verspricht idealerweise mehr Transparenz, eine
stärkere Identifikationsbereitschaft der Bürger mit ihrem Gemeinwesen (Holtkamp 2006: 185), mehr
Zustimmung für die Demokratie und ihre Organisationsformen sowie gegenseitige Anerkennung. Aber es
gibt auch negative Stimmen.
Yannis Papadopoulos sieht die Gefahr, dass demokratisch legitimierte Politiker, die sich gegenüber den
Bürgern rechtfertigen müssen und die auch abgewählt werden können, in Governance-Arrangements „in
Konkurrenz mit anderen Akteuren [stehen], die nicht über diese demokratische Legitimation verfügen
(Experten) oder sich lediglich auf sektor-spezifische Autorisierung (Vertreter von Interessengruppen) oder
auf Delegation (höhere Verwaltungsbeamte) berufen können.“ (Papadopoulos 2004: 220). Als
problematisch gilt auch, dass oft „nicht alle soziale Gruppen im gleichen Maße“ (Holtkamp & Bogumil 2007:
240) erreicht würden. Bürgerforen und ähnliche Partizipationsformen für die Einwohner seien „eher ein
Sprachrohr für bereits engagierte und durchsetzungsfähige Akteure“ (Holtkamp 2006: 199). Man solle
„das Risiko ernst nehmen, dass Governance die Tendenz zu einer demokratischen Elitenherrschaft
zusätzlich verschärfen“ werde (Papadopoulos 2004: 220).
Und noch eines ist realistischerweise zu berücksichtigen: „die zu erwartenden Akteurswiderstände und die
sich immer weiter verschärfende kommunale Haushaltskrise“ (Holtkamp & Bogumil 2007: 241). Gemünzt
ist dies vor allem auf die politischen Partien und die Ratsfraktionen einerseits und die Einschränkungen
durch die Kommunalaufsicht andererseits, die Verwaltungen und Räte binden.
Letztlich hängt der Erfolg der Partizipation davon ab, wie ernst Politik und Verwaltung die Bürgerbeteiligung
nehmen und ob sie bereit sind, Macht mit denen zu teilen, die an Projekten mit Mitmach-Aktionen der
Kommune teilnehmen.
Literatur
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